Der Mann

Ein Mann ohne wenn und aber
betrat die Bühne
sah sich um
und sagte:
ich möchte mich erklären,
ich möchte ihnen sagen,
ich fühle mich
seit geraumer Zeit so verändert,
so unsagbar anders,
es begann vor Tagen
oder
vielleicht sind es auch Wochen,
aber spielt das noch eine Rolle,
ich möchte nun beginnen:
es war
genau,
es war an einem morgen,
ich erwachte aus einem tiefen Schlaf,
so wie jeder erwacht,
ich fühlte mich beengt,
will sagen,
nicht mehr wie sonst,
es überkamen mich so viele Fragen,
hatte
ein Gefühl
so unendlich klein zu sein,
besah mich im Spiegel,
fand nichts verdächtiges
denn ich war ganz nackt
wie
kurz nach meiner Geburt,
wie gesagt,
ich sah mich im Spiegel,
obwohl ein Spiegel nur ein Spiegelbild ist
sah ich mich,
nach dem ersten Blick war ich sehr betroffen,
verstehen sie mich nicht falsch
ich sah mich
als Bonsai,
mich umschlangen tausend Schnüre,
meine Arme waren stark verkürzt,
wie ein Mensch,
als Produkt einer entgleisten Chemie,
mein Kopf
war mit Drähten fest umschlossen,
mein Körper
ohne Form,
tief beeindruckt
ob meiner selbst,
aber das Spiegelbild
ist nur ein Spiegelbild,
dann sah ich mich so wie ich bin,
das hat mich sehr erschrocken,
der Spiegel
barg in sich einen Bonsai
doch fragte ich mich,
wer hat aus mir einen Bonsai gemacht,
mein Hirn war
tausendmal mit Schnüren umwunden
doch ich spürte keinen Schmerz,
vielleicht liegt es daran,
dass ein Gehirn im Innern so schmerzlos ist,
doch ich bedauerte mich
wie ich mich da sah,
dann fragte ich mich
wer,
oder
wann,
habe ich mich
so verändert,
wer hat aus mir einen Bonsai gemacht,
aber ich muss bekennen
davon versteh ich nichts,
nein,
allen Ernstes
wer kann denn so etwas verstehen?
Also ging ich zu einem Floristen
er sagte mir ganz unumwunden,
Bonsai sei eine Kunst,
eine Philosophie,
ich bedankte mich,
der Florist gab mir noch etwas Wasser,
sagte mir,
wie ich mich zu verhalten hätte,
erwähnte kurz
mit hochgezogenen Brauen,
Bonsai sei etwas besonderes,
ich bedankte mich nicht
ging so eingeschnürt
wie ich war
aus der duftenden Enklave,
dann stand ich,
so wie ich war,
vor meinem Spiegel.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Sünkenberg


Der Mann

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